Institutionelle Normativität und Verantwortung
Von Julian Pavesi (Zürich Schweiz)
Wenn ich an Barrieren zur Ausübung unserer kulturellen Rechte denke, dann denke ich an die Kunsthochschulen. Bevor ich sie beschreiben konnte, fühlte ich sie, wie viele andere auch. Doch ich möchte hier nicht über geplatzte Träume, Prekarität und das Gefühl der Unzulänglichkeit sprechen. Hier möchte ich darüber sprechen, warum von der Aufnahmeprüfung bis zur späteren Lehrtätigkeit der Alltag an einer Kunsthochschule viel leichter zu bewältigen ist, wenn man gewissen Normen entspricht. Ich werde versuchen zu verdeutlichen, warum ich in diesem Privileg eine strukturelle Benachteiligung derjenigen sehe, die von dieser Normativität abweichen. Auch möchte ich darauf eingehen, warum Menschen, die nicht der Norm entsprechen, unter dem Dach von Inklusion und Diversität Hospitalität erfahren, aber dennoch wie Gäste behandelt werden. Zu diesem Zweck gehe ich näher auf den Begriff der institutionellen ein und was sie kennzeichnet. Auf die Handlungsmöglichkeiten, die sich aus der Umsetzung dieses Konzeptes in die Praxis ergeben, werde ich ebenfalls kurz zu sprechen kommen. Bei der Recherche für ein Kunstprojekt, das sich an das Forschungsprojekt anlehnt, bin ich auf diesen Begriff gestoßen. Später erhielt es den Namen ZHdK Normativity. Aus diesem Projekt entstand auch die Idee zu diesem Aufsatz.
Ich habe mich immer gefragt, warum Diversity-Veranstaltungen von unserer Hochschulleitung geplant werden. Warum ist gerade die Leitung daran interessiert, nach außen zu kommunizieren, dass unsere Hochschule vielfältig ist? Dass über Minderheiten und ihre Anliegen gesprochen wurde, fand ich immer gut, aber die Umstände, unter denen dies geschah, waren mir suspekt. Sicher auch, weil linke Aktivist:innen zu der Zeit, als ich zu studieren begann, in der Schule zunehmend Repressionen ausgesetzt waren. Vermutlich aber auch, weil unsere Schulleitung dem Druck rechtsbürgerlicher Kräfte in Medien und Politik merklich nachgegeben hat. Letztlich gehe ich aber auf diesen
Sachverhalt näher ein, weil gerade diese zelebrierte Demonstration von Vielfalt den exklusiven und elitären unserer . Diese Veranstaltungen verbargen die institutionelle Normativität. Mich interessierte genau diese institutionelle Normativität und die veränderten
Handlungsmöglichkeiten, die sich aus der Verwendung unterschiedlicher Begriffe in einer Praxis ergeben. t. Dieser veränderte Sprachgebrauch hat zu einer Praxis der Diversity-Arbeit geführt, die eher kooperativ als konfrontativ ist. So wurden neue Handlungsmöglichkeiten6 eröffnet. von Machtstrukturen. Wenn von institutioneller Normativität die Rede ist, geht es direkt um den diskriminierenden Elefanten im Raum und wie er strukturell bedingt ist. Ich werde im Folgenden auf die Handlungsweisen eingehen, die sich ergeben, wenn von institutioneller Normativität gesprochen wird.
Früher hatte die Ausstrahlung der Kunsthochschulen etwas Anziehendes für mich. Ich habe mich lange gefragt, was es wohl war, die Kleidung der Studierenden, t auf den Flyern der Schulen? Vielleicht waren es auch die Fotos auf ihrer Website, die einen gewissen spontanen Charakter haben, aber mit hochwertiger Fotoausrüstung aufgenommen wurden. Erst später wurde mir bewusst, dass all dies von Menschen mit einem bestimmten ästhetischen Empfinden entworfen wurde, das durch ihre Klassenherkunft geprägt ist. Außerdem haben sie Zugang zu hochwertiger Technik. Das spiegelt sich in vielen Details wider. Ein Meer von gestalteten Objekten und Praxen, die von den Kunsthochschulen geprägt sind und in deren Gestalt wieder einfließen. Sie machen letztlich den ästhetischen Charakter der Schule aus. , denn ich wusste, wenn die Ästhetik der Bewerber:, würden sie größere Schwierigkeiten haben, in die Hochschule zu kommen.
Ein anschaulicheres Beispiel wäre vielleicht, wie unsere Städte aussehen würden, wenn mehr Rollstuhlfahrer:innen den Beruf der Stadtplaner:in ausüben würden. Das Problem ist, dass die Art und Weise, wie die Stadt gebaut ist, einen Einfluss darauf hat, ob ein Rollstuhlfahrer:in den Beruf der Stadtplaner:in ausüben kann. Raúl Aguayo-Krauthausen sagt passend dazu in seinem buch «Wer Inklusion will, findet einen Weg. Wer sie nicht will, findet Ausreden.»: «Die
.»
Diese Umstände sind für diejenigen, die in dieser Hinsicht privilegiert sind, meist unsichtbar. Wenn ein Raum für Menschen wie einen selbst gestaltet wurde, hat er etwas «Natürliches», das der Raum designet wurde, wird so kaschiert. Für andere sind diese Faktoren der Grund, warum sie nicht da sind
oder warum sie im Alltag behindert werden und nur schwer teilhaben können. Olúfẹ́mi O. Táíwò sagt treffend dazu: «The higher the form of education, the narrower the social experience. Some students are pipelined to PhDs, while others are pipelined to prisons.» In gewisser Weise könnte man sagen, dass Institutionen nicht neutral sind, sondern ihren Charakter durch die Einschreibung der hegemonialen Gruppe erhalten, die sie nutzt und gestaltet. Mit anderen Worten: Bestimmte Gruppen werden nicht nur strukturell begünstigt, sondern sie werden selbst zur Struktur.
. Sie stehen eher im Widerspruch zu dem von institutioneller Seite häufig verwendeten Narrativ einer schrittweisen Entwicklung hin zu mehr Diversität. Vielleicht ist das auch der Grund, warum kleinere Erfolge, von höheren Bildungsinstitutionen, stark nach außen getragen werden. Wenn also gesagt wird: "Wir sind weit gekommen", dann frage ich mich, wer mit "wir" gemeint ist, Und was durch diese Aussage verschleiert wird. Sprechen wir von institutioneller Normativität, wird genau dieses "Wir" kritisch hinterfragt. Nicht nur das "Wir" auf den Werbeplakaten, sondern das "Wir" in machtvollen Gremien und das "Wir" in den Kurrikula.
Dieses Wissen kann genutzt werden, um Menschen auf die ausgrenzenden Aspekte ihrer Privilegien und Institutionen aufmerksam zu machen. . Gerade dieser Widerstand entlarvt die vermeintliche "Natürlichkeit" der Räume, fast schon theatralisch.
Ob bewusst oder unbewusst, institutionelle Normativität wird immer wieder reproduziert, wenn sie nicht adressiert wird. . So zu handeln ist nicht vorbildlich. Das zu behaupten, wäre saviorism. Ich denke, es sollte der niedrigste Standard für verantwortliches Handeln aus einer institutionalisierten Position heraus sein. Als Einzelperson kann man sich in Angesicht einer großen Institution sehr klein fühlen. Das Machtgefälle ist extrem. Deshalb ist Solidarität der Kitt, der diese Bestrebungen zusammenhält. Menschen kommen
zusammen, werden im Prozess aufgeklärt und Barrieren werden abgebaut. Das im unmittelbaren Umfeld zu sehen macht einen spürbaren Unterschied. Wenn mehr Menschen Räume mitgestalten können, befähigt das. Das ist für mich kulturelle Teilhabe und die Wahrnehmung kultureller Rechte.
Literaturverzeichnis
Aguayo-Krauthausen, Raúl, und Martin Kulik. Wer Inklusion will, findet einen Weg: wer sie nicht will, findet Ausreden. Hamburg: Rowohlt Verlag, 2023.
Ahmed, Sara. On being included: racism and diversity in institutional life. Durham ; London: Duke University Press, 2012.
Ahmed, Sara. The Feminist Killjoy Handbook. London: Allen Lane, 2023.
Borries, Friedrich von. Weltentwerfen: eine politische Designtheorie. 5. Auflage. Edition suhrkamp 2734. Berlin: Suhrkamp, 2021.
Laclau, Ernesto, und Chantal Mouffe. Hegemony and Socialist Strategy: Towards a Radical Democratic Politics. 2. ed. London: Verso, 2001.
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Táíwò, Olúfẹmi O. Elite Capture: How the Powerful Took over Identity Politics (and Everything Else). London: Pluto Press, 2022.
Ransford, James. The White Guilt to God Pipeline. Youtube video, 2023. https://www.youtube.com/watch?v=1oVisIGFExc&list=LL&index=10.
Táíwò, Olúfẹmi O. „Being-in-the-Room Privilege: Elite Capture and Epistemic Deference“. In The Philosopher, 2022.
https://www.thephilosopher1923.org/post/being-in-the-room-privilege-elite capture-and-epistemic-deference.
Vögele, Sophie. „Exclusion through Inclusion. A summary of the Art.School.Differences study“, 4. August 2023.
https://blog.zhdk.ch/artschooldifferences/en/schlussbericht/.